In der Ökotrophologie herrscht Aufbruchstimmung. Ob demografischer Wandel, Ganztagsschulen oder Flüchtlingsproblematik: Ökotrophologen sind derzeit in hauwirtschaftlichen Dienstleistungs- und Gemeinschaftsverpflegungsbetrieben – vor allem als Führungskräfte im mittleren Management – gefragter denn je.
Wer an deutschen Hochschulen nach Studiengängen im Bereich Haushalts- und Ernährungswissenschaften oder Ökotrophologie sucht, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Eine Vielzahl mehr oder weniger stark spezialisierter Studiengänge mit kreativer Namensgebung ist dort zu finden: Verpflegungs- und Versorgungsmanagement, Catering und Hospitality Services, Dienstleistungsmanagement und LifeCycle Catering.
Die klassische Haushaltswissenschaft als Studiengang ist an den Hochschulen fast völlig verschwunden. Doch das liegt keineswegs an den hauswirtschaftlichen Kernthemen, die sind für die neuen Studiengänge unentbehrlich und daher nach wie vor fester Bestandteil der Curricula. Neu sind die Begrifflichkeiten, denn: „Haushaltswissenschaft klingt leider wenig zeitgemäß und unattraktiv. Studenten können oft nichts damit anfangen. Das Problem: Die Haushaltswissenschaften und ihre Themen sind aktuell auf dem Arbeitsmarkt wichtiger denn je, weil sie genau die grundlegenden Kompetenzen umfassen, die Absolventen auf ihre Tätigkeit im Management von hauswirtschaftlichen Dienstleistungsbetrieben oder in der Gemeinschaftsverpflegung vorbereiten. Dazu gehören zum Beispiel Kenntnisse im Personal- und Qualitätsmanagement oder im Controlling“, sagt Dr. Silke Lichtenstein, Vorstandsmitglied beim BerufsVerband Oecotrophologie (VDOE), wo sie sich über ihren eigenen beruflichen Wirkungskreis in der Außer-Haus-Verpflegung hinaus auch besonders für die haushaltswissenschaftlichen Fachrichtungen einsetzt.
Auch im beruflichen Alltag von Ökotrophologen trifft die traditionelle Unterscheidung von „E“ wie Ernährung und „H“ wie Haushaltswissenschaften nicht die realen Bedingungen. Insbesondere im Projekt- oder Schnittstellenmanagement sind Kompetenzen aus beiden Arbeitsbereichen, Haushaltswissenschaften und Ernährung, gefragt. Insofern werden an den Hochschulen und Universitäten Kernthemen beider Fachrichtungen gelehrt, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung und mit modernerem „Wording“ (Wortlaut).
Aktuell hat der VDOE auf die Entwicklung an den Hochschulen und auf dem Arbeitsmarkt reagiert und seinen Arbeitskreis „Haushaltswissenschaften“ in den Arbeitskreis „Versorgung“ umgewandelt. Der Begriff „Versorgung“, so der VDOE, grenzt die Expertise von Ökotrophologen klar von der ab, die andere professionelle Fachkräfte aus den Bereichen Pflege und Erziehung bieten. „Versorgung“ beinhalte im Wortstamm die Sorge um das Wohl von Menschen.
Ökotrophologie ist nicht nur Verpflegung
Mit diesem Anspruch übernehmen Ökotrophologen laut dem VDOE auch zahlreiche Aufgaben im Dienstleistungsmanagement wie die Organisation und Planung nicht nur von Verpflegung, sondern auch von Reinigung, Wäschepflege und Raumgestaltung. Dafür seien unter anderem Kenntnisse im Qualitäts- und Umweltmanagement und bezüglich der Sicherstellung rechtlicher Anforderungen ebenso selbstverständlich wie das Verständnis für die Aspekte des Wohnens und der zugehörigen technischen Ausstattung.
Auch das dem Arbeitskreis nahestehende Netzwerk „Haushaltswissenschaft“ hat sich mit dem inhaltlichen Schwerpunkt Außer-Haus-Verpflegung neu ausgerichtet. Begründung: Viele VDOE-Mitglieder sind in der Außer-Haus-Verpflegung beruflich aktiv – zum Beispiel als Betriebsleiter von Verpflegungsbetrieben, im Hygiene- und Qualitätsmanagement, im Catering oder in den Vernetzungsstellen Schulverpflegung. Mit dem neuen Netzwerk will der VDOE für alle fachlich Interessierten und Engagierten nun eine Plattform und ein Diskussionsforum im Verband schaffen.
„Der Privathaushalt bleibt weiterhin Wirkungskreis und ein wissenschaftliches Forschungsgebiet für Ökotrophologen, aber das Gros der Stellen findet man in Dienstleistungsbetrieben. Aufgrund von gesellschaftlichen Entwicklungen wie Überalterung und Ganztagsschulen findet schon heute die Versorgung immer häufiger nicht mehr zu Hause statt, sondern in der GV. Auf diesem Markt sind Ökotrophologen gefragter denn je. Nehmen Sie zum Beispiel das Flüchtlingsthema. Da gibt es derzeit eine Menge Anfragen, weil das Wissen der Experten und Expertinnen händeringend gesucht wird“, berichtet Dr. Silke Lichtenstein.
Alexandra Höß
Mehr zum Thema lesen Sie in der rhw management-Ausgabe 6/2016